Der Verräter von Oslo

Wenn das eigene Land von Nazi-Deutschland besetzt wurde, hatten Leute, die den Nazis ideologisch nahe standen, mehrere Möglichkeiten, sich zu den Besatzern zu verhalten: Entweder man leistet Widerstand, man schweigt und wartet ab oder man kollaboriert sogar. Ein ganz besonderer Fall ist der eines Menschen, dessen Name sogar zum Synonym für Verräter geworden ist:
Als die Wehrmacht am 9. April 1940 das neutrale Norwegen angreift, kommt das für die Norweger als ein großer Schock. Deutschland will sich die kriegswichtigen Bodenschätzte Norwegens sichern.

Mindestens ebenso entsetzt, wenn auch nicht ganz so überrascht dürfte Vidkun Quisling an diesem Tag gewesen sein. Der Mitte 50-Jährige ist von wirren Rassenideologien getrieben und Gründer einer faschistischen zwei Prozent-Partei, die keinen nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Ende der 30er Jahre gibt es für sie de facto keine Erfolgsaussichten. Eigentlich. Denn eigentlich, so denkt Quisling, hat er mit den Nazis verabredet, dass die Wehrmacht ihm bei einem Sturz der norwegischen Regierung helfen solle. Im Gegenzug solle Deutschland die wichtigen Häfen nutzten können.

Dass Hitler sich stattdessen dazu entschieden hat, gleich ganz Norwegen einzunehmen und Quisling fallen zu lassen, das muss auch Quisling überrascht haben. Doch die Flucht des Königs und der sozialdemokratischen Regierung vor der Wehrmacht sieht er trotzdem als Einladung. Schnell erklärt er sich zum Regierungschef und will das Land übernehmen. Die Nazis unterstützen ihn kurzzeitig, merken aber schnell, dass er keinen Rückhalt im Volk genießt: Niemand will mit dem Verräter zusammenarbeiten. Vorerst muss er, zumindest offiziell seine Macht abgeben, wird dann aber nochmal Premierminister.

In dieser Zeit ist er auch am Holocaust in Norwegen beteiligt (1) (2), er soll sogar gestohlene Artefakte, die von Juden geraubt waren, in seiner Sammlung gehabt haben (2). Quislings Herrschaft endet erst mit dem Ende der Nazi-Herrschaft in Europa, er und ein paar seiner Gefolgsleute werden zum Tode verurteilt.

Nun, Kollaborateure mit den Nazis gab es überall am rechten Rand der europäischen Länder. Was macht diesen Fall so besonders?
Es dauerte kein Jahr, bis der Name „Quisling“ von der britischen politischen und Medienlandschaft als Synonym für Vaterlandsverrat und Kollaboration verwendet wurde. So kam der Begriff sogar schon, während Quisling noch am Leben war, zur Verwendung. Heutzutage ist „Quisling“, wenn auch eher selten verwendet, in fast allen europäischen Sprachen etabliert, als Ausdruck für all jene unsolidarischen und unpatriotischen Opportunisten, die sich für eigene politische Ziele und Machtgier mit dem Unrecht verbrüdern und sich letztlich sogar am Massenmorden mitschuldig machen, um Macht über ihr eigenes, am Boden liegendes Land zu erlangen, die sie auf legalem Wege nie erlangen würden. Aber bestimmt auch als Mahnung an andere, die sich in solchen Situationen vielleicht nun zweimal überlegen, wie sie in die Geschichte eingehen werden.

Lennart Funk
 
(1) Quislings Herrschaft: https://www.memorialmuseums.org/memorialmuseum/zentrum-fur-holocaust-und-minderheitenstudien-villa-grande
(2) Quislings Mitschuld am Holocaust: https://www.newsinenglish.no/2017/11/03/quisling-knew-about-death-camps/