Die Ausbeutung der Boten

Ein Kommentar zur Weihnachtszeit

Jeder von uns – spätestens jetzt zur Weihnachtszeit – bestellt Pakete. 2020 lieferte alleine die DHL 1,6 Milliarden Pakete und das nur in Deutschland. Wir Deutschen sind Europameister im Paketbestellen. 83% von uns kaufen laut einer 2021 vom RND durchgeführten Befragung regelmäßig online. 94% der Deutschen Onlineshopper kauft unter anderem bei Amazon ein. Amazon ist damit in Deutschland fast konkurrenzlos. 2019 gaben 63% der befragten Deutschen an, Amazon Prime Mitglied zu sein, um hier ein paar Zahlen zu nennen. Von der Herstellung, die nicht immer umweltfreundlich oder gut bezahlt ist, über das sofortige Wegwerfen von zurückgegebenen Gegenständen bis hin zum ebenfalls umweltschädlichen langen Transport der Ware gibt es viele problematische Seiten dieses neuen ‚Globalisierungssegens‘. Doch es gibt noch eine weitere Schattenseite: Sie betrifft die vielen Menschen, die täglich diese Pakete zustellen.

2009 beschäftigte alleine die Deutsche Post 80.000 Zusteller, auch wegen Corona dürfte die Zahl inzwischen gestiegen sein. Doch diese Summe sagt nicht alles, da viele Postbezirke auch an Sub-Unternehmer vergeben sind, über die die DHL keine Aussagen machen kann, das Gleiche gilt für Hermes und alle anderen Postunternehmen. Das sind „selbständige“ Paketboten, die für die gleiche Arbeit in teilweise der gleichen Uniform viel weniger Geld bekommen. Sie bringen ihr Auto selbst mit und liefern nur die von der DHL kommenden Pakete, wodurch es sich für die DHL lohnt, da sie kein neues Auto oder eine neue Versicherung abschließen müssen.

Die erste Abwertungsstufe ist die DHL delivery group, bei der die Arbeiter zumindest noch DHL-Uniformen tragen. Diese beschäftigt aus Profitgründen jedoch Subunternehmen, die noch weniger verdienen und „im Auftrag der DHL“ fahren. Aber auch diese unterhalten wieder Sub-Sub oder Sub-Sub-Subunternehmen, deren Arbeiter oft aus osteuropäischen Ländern kommen und nach eigenen Aussagen „wenn sie Glück haben“ über 6€ Stundenlohn bekommen. Abgesehen davon, dass bei dieser Arbeit generell eine große Belastung besteht – die Paketboten müssen harte Auflagen erfüllen (Menge der Pakete, Lieferzeit) – gibt es also auch noch mehrere Klassen an Zustellern. Besonders zur Weihnachtszeit steigt der Druck extrem, da nun viel mehr Pakete in kurzer Zeit geliefert werden müssen. Diese, vom ex Verdi-Chef als mafiös bezeichneten Zustände führen dazu, dass viele Subunternehmer teilweise von 5 bis 23 Uhr ohne größere Pausen arbeiten müssen! Viele dieser ausländischen Arbeiter sind so arm, dass sie Benzin oder Pakete klauen. Wie schon erwähnt ist es schwierig über das verstrickte System der Leiharbeiter und Subunternehmen Aussagen zu machen. Zwar haften die Postunternehmer offiziell für ihre Unterfirmen, aber das Kontrollamt für Schwarzarbeit ist so schlecht ausgerüstet, dass ausreichende Kontrollen kaum möglich sind. Doch auch für die Chefs von kleinen Subunternehmen ist es nicht leicht. Anna Hermi (Link zum Interview unten), die jetzt eine halbe Million Schulden hat, leitete selbst mal ein kleines Subunternehmen, doch da sie dem enormen Preisdruck nicht standhalten konnte, musste sie Insolvenz anmelden.

So oft begegnen uns die Laster und ihre Zusteller. Es gibt natürlich Kunden, die Bescheid wissen und mitleidige Blicke, kleine Geschenke oder manchmal sogar Trinkgeld geben, aber das sind bei weitem nicht alle. Eine Vielzahl der Leute sieht nicht ein, warum sie ihre Pakete nicht noch schneller und noch günstiger bekommen können. Sie wollen Pakete des Nachbarn nicht annehmen oder beschweren sich über die verbeulten Laster oder sind einfach gleichgültig. Natürlich sind das nicht alle, aber die wenigsten schätzen diese Leistung für die Gesellschaft, so wie sie es verdient hätte. Ein fälliges Dankeschön zu Weihnachten ist das, was man auf jeden Fall tun kann, vor allem aber der Leistung Respekt zollen, es ist ja (denke ich), auch keine Option, ab sofort keine Pakete mehr zu bestellen, die Bedingungen müssen sich ändern. Und die Grundvoraussetzung, dass dies geschehen kann, ist, dass man darüber Bescheid weiß.

Quelle: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/paketboten-reportage-ueber-die-ausbeutung-von-paketzustellern-a-1301473.html