Verschwunden – 6. Verdeckte Ermittlungen

Jonas suchte bereits nach dem nächsten Campingplatz in Marburg, wir würden im Campingmobil übernachten und von da aus unsere Ermittlungen weiterführen. In Marburg soll sich auch ein Mietglied der KJD befinden, Karina. Sie wird uns helfen und nach den vier Verdächtigen Ausschau halten. Marlene schaute sich die Karte von Marburg an und ich schaute über die Uhr im KJD-Archiv nach, wann genau Max Kralle und Paul Knall wieder freigelassen wurden. „Wow, diese Uhren sind Klasse, der Zugriff auf das Archiv ist wirklich eine tolle Funktion“, ich holte Luft und las vor: „Max soll in einem Krämerladen arbeiten und Paul das Schneidergeschäft seiner Eltern in Marburg übernehmen, seit zwei Tagen sind die beiden wieder frei. Wir sollten meiner Meinung nach als erstes im Schneidergeschäft vorbeischauen.“
Marlene und Jonas stimmten mir zu. „Wir sollten uns am Campingplatz direkt verkleiden und losgehen“, meinte Jonas. „Ähm, reicht ein Sommerkleid, eine Sonnenbrille und ein großer Sonnenhut?“, fragte ich. Marlene schlug vor: „Natürlich, aber am besten nimmst du noch meinen Schminkkoffer, ich habe fünf unbenutzte Ersatz-Lippenstifte, möchtest du rot, knallrot, dunkelrot oder braun?“- „Dunkelrot“, lachte ich. Jetzt mischte sich Ray ein: „In fünf Minuten erreichen wir Marburg, zu welchem der Campingplätze soll ich denn jetzt fahren?“- „Zum Campingplatz Kernbach“, nuschelte Jonas nach vorne, bevor er weiter kommandierte: „Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch vor der Mittagspause in dieser Schneiderei sein wollen!“

Ich entschied mich für meine kurze blaue Jeans, Marlenes braune Sonnenbrille und ihr sonnengelbes T-Shirt (ihre Auswahl zum Verkleiden ist einfach riesig). Meinen Hut setzte ich auf und sah mir das Outfit an; die Sonnenbrille verschmolz beinahe mit meinen braunen, hüftlangen Haaren und das T-Shirt stach unter den eher dunklen Klamotten hervor.  „Wie sehe ich aus?“, wollte Marlene wissen. Ich hätte sie fast gar nicht wieder erkannt mit der schwarzen Perücke statt den hellblonden Haaren, ihrem kurzen Regenbogenkleid, den weißen Flipflops und der schwarzen Handtasche. „Super, ich hätte dich kaum wiedererkannt“, lachte ich. Marlene verstellte ihre Stimme: „Entschuldigung, kann man hier mein schönes Sommerkleid reparieren?“- „Erste Sahne“, lobte ich ihre Schauspielkunst. „So, jetzt fehlt nur noch die Schminke, dann können wir losgehen“, stellte sie fest. 

Marlene und ich lachten uns halb kaputt, als wir Jonas als alten Erdkundelehrer verkleidet sahen. „Was ist so komisch, meine Damen?“, fragte er. „Meine Damen“- der versetzte sich voll in seine Rolle; mit Aktentasche in der rechten und einem kaputten Jackett in der linken Hand sah er aus wie ein richtiger Lehrer und er erinnerte mich prompt an unseren Geschichtslehrer Herrn Grauslich. „Könnten wir uns nun auf den Weg zur Schneiderei begeben?“, drängelte Jonas.

Vor der Schneiderei kriegten wir uns wieder ein. Der Laden schien sehr alt und heruntergekommen zu sein mit Ausnahme der neuesten Nähmaschine, auf die mich Marlene sofort hinwies: „Wow, die allerneuste Nähmaschine, erst vor einer Woche erschien sie auf dem Markt und soll zum Nähen die beste sein.“ Ich ging als erste hinein und sah mich um, der Laden war sehr klein, aber gemütlich. Rechts an der Wand hingen viele einfarbige Stoffe und gegenüber den Stoffen an der linken Seite sah ich Garne, Fäden, Nadeln und mindestens 20 verschiedene Knopfarten. Hinten im Laden war der Tresen und eine Tür, auf der stand: LAGER.
Ich wandte mich schnell zu den Knöpfen, als ein rundlicher Mann hinter dem Tresen erschien. Das musste Paul Knall sein! Er war etwa 1,80 m groß, hatte eine Glatze und einen langen Bart. Eine Brandnarbe an seiner Wange fiel mir besonders ins Auge. Sie sah aus wie ein Herz. Marlene betrat schwungvoll die Schneiderei und ging mit großen Schritten auf den Tresen zu. Ich musste mir das Lachen verkneifen, als Marlene meinte: „Guten Tag, dieser Laden scheint sich gut mit seinem Handwerk des Nähens zu befassen, ich schließe es aus der neuen Nähmaschine im Schaufenster und den perfekt genähten Kleidern, die dort hängen. Wie lange dauert es, bis ein Kleid genäht ist? Meines hat sich im Reißverschluss verheddert und ich konnte es nicht mehr ganz herausbekommen, bekommen Sie das hin?“ Paul fühlte sich sichtlich geschmeichelt: „Natürlich bekommen wir das hin, Frau…?“ „Müller. Mia Müller. Wann kann ich das gute Stück wieder abholen?“- „Brauchen sie noch lange? Ich muss noch einen Haufen Arbeiten kontrollieren und würde jetzt gerne meine Hose abgeben und morgen wieder abholen“, unterbrach Jonas, der plötzlich aufgetaucht war, das Gespräch. „Geben sie mir bitte die Hose und nennen sie ihren Namen“, sagte Paul und ein Hauch Ärgernis schwang in seiner Stimme. Jonas antwortete knapp: „Ludwig Bauer.“ Paul nahm die Hose entgegen und verabschiedete Jonas grimmig, bevor er sich an Marlene wandte und sich weiter mit ihr unterhielt. Bald waren die beiden ins Gespräch vertieft: „Dürfte ich mir mal diese alte Nähmaschine näher anschauen? Die ist ja wirklich beeindruckend.“- „Natürlich, ich kann ihnen auch viel Geschichtliches zu dieser Kostbarkeit erzählen“, eiferte Paul und Marlene nickte erfreut. Ich schlich zu dem Lager und ging hinein, während die beiden mit der Nähmaschine beschäftigt waren. Marlene hatte gesagt, dass ich fünf Minuten Zeit habe, mich im Lager umzuschauen. Ich holte mein Handy heraus und begann das komplette Lager innerhalb von drei Minuten abzuknipsen. In den letzten zwei Minuten tastete ich die Wände ab, fand aber leider nichts als ein paar Spinnen. – Wir mussten dringend weiterkommen mit unserem Fall.

Fortsetzung folgt –