Thorium-Reaktoren – Runde zwei für die Atomkraft?

Klimawandel und Ukrainekrieg haben die verheerende Abhängigkeit von fossilen Energieträgern offenkundig gemacht, die Suche nach alternativen Energiequellen ist in vollem Gange, aber Solar- und Windkraftwerke müssen erst gebaut werden und diese Energie zu speichern ist noch nicht möglich. Warum also nicht eine altbekannte und vorhandene Technologie nutzen?

Deutschland steht kurz vor dem endgültigen Atomausstieg, die letzten deutschen AKWs sollen Ende dieses Jahres vom Netz gehen. Doch gerade in Indien und China bekommt ein in Vergessenheit geratenes Verfahren der Atomstromgewinnung immer mehr Aufmerksamkeit: Der Thorium-Reaktor [Q1]. Er soll sicherer und effizienter sein als traditionelle Reaktoren, doch was auch wichtig ist: Im Gegensatz zu den traditionellen Atomreaktoren, deren Abfälle viele Millionen Jahre strahlen, strahlen die Abfälle aus Thorium-Reaktoren nur ca. 70 Jahre lang [Q2]. Dadurch entfällt eines der größten Probleme der Atomkraft. So könnten Thorium-Reaktoren als Brückentechnologie benutzt werden, ohne das wir uns für Millionen Jahre um den Müll kümmern müssen. Doch was genau ist ein Atomreaktor und wie funktionieren die Thorium-Reaktoren?

Herkömmliche Reaktoren
Ein traditioneller Atomreaktor funktioniert so: In einem Wasserbehälter werden lange Stäbe gefüllt mit Uran 235 platziert. Wenn man Uran-Atome unter Strahlung setzt, zerfallen diese und geben mehr Strahlung sowie Wärme ab, es zerfallen immer mehr Atome und eine Kettenreaktion entsteht. So wird Wasser zu Wasserdampf umgewandelt, der eine Turbine antreibt, die Strom erzeugt [Q3]. Das große Problem: Wenn die Kühlung ausfällt, heizt sich der Reaktor immer weiter auf, bis der Druck zu stark wird und er explodiert, wobei strahlende Abfallprodukte wie Strontium 90 verteilt werden [Q4]. Das Ergebnis eines solches „GAUs“ sieht man in Fukushima und Tschernobyl.

Thorium-Reaktoren
Bei einem Thorium-Reaktor verwendet man statt Uran 235 Thorium 232. Lediglich eine kleine Menge Uran wird benötigt, um eine Kettenreaktion zu starten: Unter langsamen Neutronen vom Uran 235 entsteht Thorium 233, das wird zu Protaktinium 233, das zu Uran 233 wird. Wenn Uran 233 unter der Strahlung des am Anfang verwendeten Uran 235 steht, zerfällt es und setzt Strahlung frei, diese wandelt das verbleibende Thorium in Uran 233 um und bringt dieses zum Zerfall. Man benötigt also nur Thorium 232 und eine geringe Menge Uran 235, um den Reaktor zu starten [Q5].
Warum aber sollte man Thorium verwenden? Mit Thorium lassen sich sogenannte Flüssigsalz-Reaktoren betreiben, das Thorium ist in eine Salzflüssigkeit gemischt, in der die Reaktion stattfindet. Diese Reaktoren arbeiten bei Temperaturen von über 1000°C und sind somit effizienter als herkömmliche Reaktoren. Allerdings muss das Thorium erst in Uran umgewandelt werden, wobei Energie verloren gehen kann, je nach Konstruktionsweise senkt das die Effizienz.
Doch die größten Vorteile sind folgende: Die Abfälle strahlen nur 70 Jahre lang und sollte die Kühlung ausfallen, dehnt sich das Salzgemisch aus und die Spaltelemente sind so weit voneinander entfernt, dass die Kettenreaktion zum Erliegen kommt und keine Kernschmelze möglich ist [Q2]. Thorium abzubauen ist außerdem um einiges ungefährlicher, nicht nur ist es häufiger als Uran, es fällt sogar bei der Gewinnung von Seltenen Erden als Abfall an. Indien hat es bei der Thorium Gewinnung noch leichter, nicht nur befinden sich dort über 13% des weltweiten Thoriums, sondern es ist in Teilen sogar im Sand der Strände Indiens enthalten [Q6].
Das Konzept des Thorium-Reaktors ist nichts Neues, schon in den 80ern war hier in Deutschland ein Thorium-Reaktor, der mit Helium statt Wasser gekühlt wurde für fast zwei Jahre in Betrieb, doch wegen politischer Debatten um AKWs, Fehlfunktionen und Finanzierungsschwierigkeiten wurde das Projekt eingestellt [Q7].

Nachteile
Die Sache hat mehrere Haken: Zum Ersten entstehen in Thorium-Reaktoren auch kleine Mengen an Americium und Curium, diese strahlen bis zu 500 Jahre lang. Das ist zwar deutlich kürzer als die eine Millionen Jahre der traditionellen Abfälle, stellt aber dennoch ein Problem dar, für das es noch keine Lösung gibt.
Auch entsteht Uran 232, das zwar schon nach 70 Jahren zerfällt, dafür aber sehr intensiv strahlt und speziell gelagert werden muss. Und das Schlimmste: Es kann zur Entstehung von Uran 233 kommen, aus dem Atombomben gebaut werden können. Im Moment ist es zwar unmöglich, da ebenso Uran 232 entsteht [Q8], das dies verhindert, doch wenn jemand einen Weg finden würde, dieses Problem zu lösen oder das Uran 232 herauszufiltern, wäre die Herstellung von Atombomben noch leichter und günstiger. Der Zugang wäre auch leichter, da Thorium viel öfter vorkommt als Uran und man sich große, teure Anlagen sparen würde, um Uran für Bomben anzureichern.

Fazit
Die Thorium-Reaktor-Technologie ist eine reale Alternative zu Uran-Reaktoren. Alte Anlagen könnten umgerüstet werden und so viel sicherer und ohne das Problem des Millionen Jahre strahlenden Mülls Strom liefern. Doch die politische und gesellschaftliche Ächtung macht es dem Konzept nicht einfach und die Gefahr, dass die Welt von noch mehr Atomwaffen geflutet wird, ist zwar unwahrscheinlich, aber möglicher als uns lieb sein sollte. Meiner Meinung nach ist der Thorium-Reaktor eine gute Idee für den Übergang zu den erneuerbaren Energien und dergleichen, alte Reaktoren würden so deutlich sicherer werden. Auch kann man Thorium aus Indien beziehen und sich unabhängiger von Russland machen. Ein Bereich, in dem das Konzept aber eine Zukunft hat, ist die Raumfahrt, wo man kompakte, sichere Energiequellen mit wenig Bedarf braucht.
So oder so, es bleibt spannend und wer weiß – Indien und China haben ihre Testprogramme am Laufen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir erste Ergebnisse haben.

Quellen
Q1: https://www.mdr.de/wissen/china-startet-ersten-thorium-fluessigsalz-reaktor-atomkraft-100.html
Q2: https://scnat.ch/de/uuid/i/11c9f2ae-6aa8-5738-ae6d-a893e66584ab-Das_Risiko_einer_auf_Thorium_basierenden_Kernenergie_wäre_akzeptabel
Q3: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/atomkraftwerk/
Q4: https://www.youtube.com/watch?v=talS7cNrMBM
Q5: https://de.wikipedia.org/wiki/Flüssigsalzreaktor
Q6: https://www.bbc.com/future/article/20181016-why-india-wants-to-turn-its-beaches-into-nuclear-fuel
Q7: https://www.faz.net/aktuell/politik/energiepolitik/thorium-reaktor-in-hamm-uentrop-einmal-atomkraft-und-zurueck-1627483.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
Q8: https://cms.nuklearforum.ch/sites/default/files/2021-10/170101_Faktenblatt_Thorium_d_Web.pdfs